Seit wenigen Tagen gibt es eine neue CD von Eugen Cicero. Eine echte Entdeckung: Das Material ist fast 30 Jahre alt und galt lange als verschollen, der Künstler ist vor mehr als sieben Jahren verstorben, sein Werk galt als abgeschlossen. Ich kann jetzt schon verraten: Die CD hat mich begeistert.
Eugen Ciceros Karriere begann im Rumänien der Nachkriegszeit. 1940 in Siebenbürgen geboren, lernte er als Kind das Klavierspielen und zeigte sehr früh eine ungewöhnliche Begabung. Die Laufbahn als Konzertpianist schien vorherbestimmt: Ausbildung bei renommierten Künstlern seines Landes, Musikstudium mit einer Ausbildung in Arrangement und Komposition, Konzertreisen und Tourneen ins Ausland.
Dieses Leben schränkte Cicero zu sehr ein, zumal in einem politisch reglementierten Kulturbetrieb. Doch interessanterweise scheint gerade die kulturelle Enge im kommunistischen Machtbereich seinen ganz eigenen Weg beflügelt zu haben: Eine freie Entfaltung populärer Musik mit all ihren Wagnissen und dem Hang zu unkonventionellen Positionen war kaum denkbar. Der Kanon barocker, klassischer und romantischer Klaviermusik dagegen war auch in Osteuropa tief verwurzelt und von den Machthabern akzeptiert, weil scheinbar unverfänglich. Mit diesem musikalischen Bestand im Gepäck setzte sich Cicero 1962 in den Westen ab und kam in das damalige Zentrum des europäischen Jazz - nach Berlin. Die Offenbarung des Swing und das vorhandene Repertoire fügten sich wie Teile eines Puzzles zusammen: Eugen Ciceros Musik entwickelte sich ab dieser Zeit hin zur Fusion von Klassik und Jazz.
In den 60er und 70er Jahren traf dies im wahrsten Sinne des Wortes auf offene Ohren. In allen Sparten der populären Musik entdeckte man die klassischen Komponisten. Allerdings mit sehr unterschiedlichen Intentionen: Adaptionen durch U-Musiker erschöpften sich häufig darin, das Tonmaterial in jeweils genretypischer Instrumentierung zu präsentieren, blieben also oft reines Arrangement. Eugen Cicero dagegen gelang es immer, die Harmonien vergangener Jahrhunderte zur Grundlage echter Jazz-Improvisation zu machen und dabei dennoch vor allem in den Expositionen der einzelnen Stücke durchaus werktreue Interpretationen auf hohem pianistischem Niveau zu präsentieren. Er ist damit derjenige, der in seinen Aufnahmen sowohl die klassische Musik als auch den Jazz jeweils am reinsten erhalten konnte und zugleich in der tiefsten Weise miteinander verband.
Im Laufe der Jahrzehnte bis zu seinem viel zu frühen Tod 1997 hat Eugen Cicero mehr als 70 Alben aufgenommen. Vorwiegend in der Trio-Besetzung mit Bass und Schlagzeug, aber auch mit aufwendig arrangierten Streicher-Ensembles. Dabei spielte er mit etlichen Grössen und Übergrössen der Szene zusammen. Jahrelang mit dem Drummer Charly Antolini, ausserdem mit dem Bassisten Niels Henning Ørsted Pedersen, mit Ralf R. Hübner, J. A. Rettenbacher, Garcia Morales, Toots Thielemans, mit dem klassischen Organisten Wilhelm Krumbach, der Sopranistin Ruth Juon oder dem Bassisten Decebal Badila.
Auf dem vorliegenden Album finden sich - recht untypisch für ihn - ausschliesslich Solo-Aufnahmen, die am 14. September 1978 bei den Debrecen Jazz Days entstanden. Dieses älteste ungarische Jazz-Festival wurde erstmals 1973 veranstaltet und sah in seiner Geschichte internationale Jazz-Grössen wie Marcus Miller, Wayne Shorter und Lee Konitz ebenso wie lokale und nationale Protagonisten. Von Ciceros Konzert 1978 existierte eine weithin unbekannte Aufnahme, die lange in Archiven schlummerte, bis sie von einem Sammler 2004 entdeckt wurde. So wird uns nicht ganz zufällig zur Zeit der europäischen Integration ehemaliger Ostblockstaaten bewusst gemacht, aus welchem gemeinsamen kulturellen Erbe wir schöpfen und wie aufmerksam auch während des Kalten Krieges die musikalische Situation diesseits des Eisernen Vorhangs verfolgt wurde.
Die Konzertaufnahmen zeigen zweierlei: Zum einen belegen sie die äusserst familiäre Atmosphäre, die aus dem Zusammenspiel hochrangiger Künstler und eines ebenso kundigen wie begeisterten Publikums entsteht. Zum anderen präsentieren Sie einen Eugen Cicero in Hochform, der virtuos, experimentierfreudig und stellenweise geradezu ausgelassen seinen musikalischen Stoff verarbeitet.
Die Abwesenheit von Begleitmusikern beeinflusst natürlich Ciceros technisches Herangehen an die Stücke, spornt ihn aber eher an als ihn in Verlegenheit zu bringen: Gleich beim ersten Titel, dem Standard "Shiny Stockings", beweist er, dass eine auf Unabhängigkeit trainierte linke Hand ohne weiteres einen Begleiter ersetzt. Er spielt hier einen munteren "walking bass", während er in der Rechten Melodie und akzentuierende Block-Akkorde vereint. Dabei schimmert nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal in seinem Schaffen die tiefe Zuneigung zu Erroll Garners rhythmischer Auffassung des Klavierjazz durch; wie später auch im Gershwin-Medley - "I Got Rhythm" wird dort ganz im Stil des grossen Autodidakten präsentiert.
Überhaupt widmet sich Cicero bei seinem Konzert sehr ausführlich dem Mainstream-Jazz: Etliche der präsentierten Stücke sind Standards; die für ihn typischen Klassik-Adaptionen geraten auf den ersten Blick ins Hintertreffen. Das scheint allerdings nur so. In Debrecen verfolgte Cicero offenbar zwei Ziele: Einmal die traditionelle Klaviermusik als harmonisches Grundmaterial für ambitionierten Swing zu verwenden, andererseits balladeske und swingende Jazz-Standards mit den Interpretationsmitteln des konzertanten E-Musik-Pianisten darzubieten.
Sehr schön lässt sich dieser Ansatz an Ciceros wohl bekanntestem Kabinettstück "Sunny" belegen. In den meisten der zahlreichen Studio- und Live-Aufnahmen dieses Titels spielt Cicero die Evergreens der "ernsten" Klaviermusik kurz an, um dann immer wieder an harmonisch passender Stelle in die eingängige Melodie von "Sunny" zu wechseln. In Debrecen dagegen bleibt er recht konsequent bei "Sunny" und variiert das Stück mit den Phrasierungen, Tempi und kompositorischen Figuren barocker bis romantischer Musik. Dabei beweist er en passant, dass er alle technischen Aspekte des zeitgenössischen Jazz ausschöpfen kann. Diesmal also nicht das pianistische Erbe in mundgerechten Häppchen mit "Sunny" als wiederkehrender heiterer Pointe, sondern in bester klassischer Tradition "Variationen über ein Thema von Bobby Hebb".
Wo Cicero sich des traditionellen pianistischen Repertoires annimmt und damit sicher auch gerne den Erwartungen des Publikums entspricht, wird er den Stücken immer wieder auf verblüffende Weise gerecht, ohne den Bezug zur Gegenwart zu verlieren. Schuberts "Heideröslein" übersetzt er in heiter perlende Improvisationsfreude, Bachs Choral arrangiert er harmonisch komplex, ohne ihm den schwermütigen Grundton zu nehmen. Chopins Walzer bleiben auf frappierende Weise werktreu: Cicero legt mit seiner Interpretation die sonst vom übervirtuosen Vortrag klassischer Pianisten allzu schnell verschüttete Tanzbarkeit frei. Zugleich gelingt es ihm, die bei aller rhythmischen Eingängigkeit doch oft melancholische Harmonik Chopins aufblitzen zu lassen.
Umgekehrt steht Chopin Pate für die Interpretation von Joseph Cosmas "Les feuilles mortes". In der Exposition wird daraus beinahe ein Nocturne, in der Improvisation kommt dann wieder Erroll Garner ins Spiel - ein beiläufiges Zitat von "Tea for Two" gibt den augenzwinkernden Hinweis.
Ganz bei sich selbst ist Cicero in "Nancy With A Laughing Face". Von Frank Sinatra populär gemacht, wird das kleine Lied für Cicero zum vorsichtig umspielten und meditativ von allen Seiten behutsam betrachteten melodischen Material. Das wirkt so intim und versonnen, dass man Eugen Cicero während der gut sechs Minuten ganz allein im Saal wähnt. Man fühlt sich spontan an die Balladeninterpretationen erinnert, die Oscar Peterson in den 60er Jahren im Haus des MPS-Gründers Hans-Georg Brunner-Schwer einspielte. Beide Pianisten prägten auf ihre Weise den legendären MPS-Sound und begegneten einander dabei auf Augenhöhe.
Reichlich Schabernack treibt Cicero mit "The Sheik of Araby" - sehr zur Freude des Publikums. Beginn und Ende führen in die Tradition des Ragtime zu Beginn des 20. Jahrhunderts zurück. Dazwischen wechselt die Stimmung gewollt übertrieben ins schwülstige Pathos, um sich ganz schnell und mit Zwischenapplaus bedacht ins munter Tändelnde zu bewegen und dann überraschend einige Takte Beethovens einzuflechten - eine Volte, die man zuvor bei "Sunny" erwartet hätte.
Verblüffendes erreicht Cicero mit "Glory Hallelujah". Eigentlich bieten dessen simple Harmonien wenig Stoff für spannende Improvisationen. Doch zahlen sich hier Ciceros Kompositionsstudien aus: Mit der Verlagerung nach Moll und der Anreicherung durch komplexes Akkordmaterial kommt er zu einer überzeugenden Interpretation. Das erinnert an Bachs "Musikalisches Opfer", doch ist für Cicero nicht wie für Bach politische Opportunität das Motiv, sondern "Glory Hallelujah" ist ihm im Gegenteil als Ruf zur Befreiung von äusserem Druck eine Herzensangelegenheit.
Das Konzert von Debrecen wirkt selbst nach fast drei Jahrzehnten frisch und neu. Hier beweist Cicero, dass er immer wieder zu überraschen vermag. Gleichzeitig fügt es sich aber in der Rückschau sehr konsequent und folgerichtig in Ciceros Entwicklung ein: Die begeisternde Virtuosität der ersten Karriereschritte spiegelt sich darin ebenso wie die reife Meisterschaft der späten Jahre. Und es zeigt sich, dass Cicero immer wieder zu überraschen weiss. Er ist eben nicht auf der meist vergeblichen Jagd nach der idealen Interpretation, die das Schaffen traditioneller Konzertpianisten zuweilen in plötzliche Frustration münden lässt (wie das Beispiel Friedrich Guldas zeigt, der nicht ganz zufällig ebenfalls im Jazz einen Weg aus musikalischen Sackgassen fand). Cicero zeigt die Musik als stetig in Wandlung begriffenes Medium, das sich ständig neu erfinden und immer wieder variieren lässt. Es gibt in Ciceros Laufbahn nichts Endgültiges, Festgelegtes, sondern an jeder Stelle ist die Neugier zu spüren, die auf der soliden Grundlage technischer Perfektion immer wieder zu erfreulichen Neuentdeckungen im scheinbar Bekannten führt. In Debrecen erlaubte er dem Publikum einen Blick in seine interpretatorische Werkstatt, liess sie am Entstehen musikalischer Einfälle teilhaben und liess sich seinerseits von der Antwort der Zuhörer wieder zu spontanen Reaktionen leiten.
Dass die Aufnahmen live und solo entstanden, ist ebenfalls ein glücklicher Umstand. Denn hier spielt Eugen Cicero pur - nur aus sich heraus und ganz auf sich gestellt. Dass er, der sich gegenüber seinen Begleitern in den verschiedenen Ensembles durchaus zurücknehmen konnte, als Solist mühelos ebenso präsent war wie als Kopf eines Trios, lässt noch mehr von einem überragenden Können spüren, das sich mit Leichtigkeit jeder Besetzung, jedem Publikum und jedem Anspruch anpassen kann.
Und die Unabhängigkeit eines Solo-Auftritts passt gut zu dem freien Geist, den Cicero stets bewiesen hat, wenn er sich weder auf ein Genre festlegen noch durch politische Grenzen beschränken liess. Er fand sein Publikum im Osten wie im Westen, unter Kennern der alten Komponisten wie unter Jazz-Enthusiasten. Dass es jetzt, Jahre nach Ciceros Tod, noch verborgene Schätze aus seinem Oeuvre zu heben gibt, stimmt optimistisch: Auch in Zukunft wird Eugen Cicero uns wohl noch aufs Beste unterhalten können. Zwar wohl nicht so bald mit unbekanntem Material, aber für den Sommer ist die Neuveröffentlichung einiger seiner legendären MPS-Aufnahmen geplant. Ich freue mich jetzt schon darauf.
Die jetzt erschienene CD wurde vom Label "in + out Records" veröffentlicht und wird von in-akustik vertrieben - eine Garantie für sorgfältige tontechnische Bearbeitung, die stets eine gute Balance zwischen zeitgemässer Klangqualität und authentischem Hörerlebnis wahrt. Zu haben ist das gute Stück bei den üblichen Verdächtigen des Online-Musikvertriebs und natürlich beim Händler Ihres Vertrauens.
Die vorliegende CD, von dem im Jahr 1997 viel zu früh verstorbenen Pianisten Eugen Cicero, enthält Sternstunden der Improvisationskunst auf dem Klavier: Alles was er musikalisch zu sagen hatte, wird in diesem Konzert offenbart.
Das ist Cicero pur und in jeder Hinsicht die Quintessenz seines Könnens!
Er spielt mit einer Ausgelassenheit und Vergnügtheit, die sich nur jemand leisten kann, der in der Improvisation der Klassik ebenso zuhause ist wie in den Sparten des Jazz.
Wer sensibel ist, spürt bei dem vorliegenden Live-Mitschnitt die besondere "Insider-Atmosphäre" im Konzertsaal: Augen und Ohren des Publikums sind nach vorne gerichtet, mit jedem Stück baut sich eine knisternde Konzentration auf, bis sie sich bei klug und reizvoll gesetzten Pointen oder nach einem gewaltigen Crescendo in explodierendem Applaus entlädt.
Eugen Cicero spielt in der Manier eines genialen Regisseurs. Gezielt setzt er auf Spannungen und Stimmungen und lässt die ehrwürdigen Meister aus Barock, Klassik und Romantik auf der Bühne seiner Tastatur auferstehen und mit den Stars der Swing-Jazz-Ära in ein kreatives Zwiegespräch treten.
Egal, ob Cicero damals "seiner Zeit voraus" war oder ob seine Musik heute (wieder) hoch modern ist, er hat ein zeitloses musikalisches Werk geschaffen, das immer seine Bewunderer finden wird.
Hier spielt kein "easy listening" Pianist. Schon die Länge der Stücke zeigt, dass Cicero hier mehr zu sagen hat als nur simples "Hintergrundgeplätscher". Cicero verlangt vom Zuhörer schon etwas mehr, als nur "nebenher" gehört zu werden!
Cicero hat, und das ist sein ganz spezielles Verdienst, den Stücken der Klassik nicht einfach Schlagzeug und Bass hinzugefügt, sondern hat musikalisch klar durchstrukturierte Großformate angelegt, die den Liebhaber klassischer Musik ebenso erstaunen wie den Jazzfreund.
Wie Mozart, der noch nicht an das zeitliche Limit einer Hit-Single gebunden war, lässt sich Cicero bei seinen Improvisationen viel Zeit, berücksichtigt das Auffassungsvermögen bzw. "Mitgehen" des Zuhörers. Er lässt ihn an seinem Experimentieren mit neuen Themen und Klangfarben teilnehmen, und führt ihn, nicht ohne die Freude des Verführers, der je nach Laune und Herzenslust das Thema wechseln kann, über mehrfache Rhythmuswechsel und zu einem "wohlmeinenden" Schlussakkord.
Dies lässt sich sehr gut an der Auswahl und Bearbeitung der Titel aufzeigen:
Cicero spannt den grossen Bogen vom "Great American Songbook" bis hin zur klassischen romantischen Klavierliteratur von Frédéric Chopin. Er zeigt nicht geahnte musikalische Gemeinsamkeiten und lässt beide, ohne stilistische Verflachungen und verfälschende Kompromisse, eine gelungene Zwiesprache halten.
Mit dem tänzelnden Eröffnungstitel SHINY STOCKINGS entdeckt Cicero musikalisch nicht nur den versteckten Charme glänzender Seidenstrümpfe, sondern zeigt, wie auch bei SHEIK OF ARABY, dass diese Jazzthemen durchaus mit den Stilmitteln der Klassik "bearbeitet" werden können.
Selten hat man AUTUMN LEAVES in einer derartigen Üppigkeit und gleichzeitigen filigranen Zartheit gehört, die den musikalischen Landschaftsmalereien eines Debussy wohl in nichts nachsteht. Das HEIDENRÖSLEIN von Franz Schubert kulminiert die Romantik des stürmischen Liebhabers in den rhythmischen Elementen des Bossa Nova.
Bei dem "Cicero-Standard" SUNNY, den CHOPIN WALZERN und dem GERSHWIN MEDLEY werden gekonnt eine beachtliche Anzahl grosser Kompositionen, mit einander verschmolzen. Immer behalten sie ihre klare Melodieführung und werden mit spannungsgeladener Harmonie und Drive zu einem für Cicero typischen Crescendo geführt.
Kaum zu glauben, dass zwischen dem "ERBARME DICH, MEIN GOTT" (Johann Sebastian Bach) und dem Jazz- Standard "NANCY, WITH A LAUGHING FACE" (Jimmy van Heusen) mehr als vier Jahrhunderte liegen. Cicero zeigt uns ihre enge Verwandtschaft.
Es ist fast programmatisch, dass Eugen Cicero mit seinem letzten Titel ein "Glory Hallelujah" anstimmt, das, obgleich ganz weltlichen Ursprungs, seine Musik und sein Können schlicht in "himmlische Sphären" hebt.
Keine Frage, dieses Konzert war ein Höhepunkt in der Karriere von Eugen Cicero - schön dass wir noch nach so langer Zeit hieran teilhaben dürfen!
Diese CD ist jedem Pianisten (aber auch jedem, der gerne Klaviermusik hört) wärmstens zu empfehlen, egal ob er sich mehr in der Klassik oder im Jazz zuhause fühlt, denn hier geht es um das, was sich jeder wünscht, spielen zu können!
Thomas Blaser, 01. August 2005
Ich habe Eugen nie vergessen, allerdings kannte ich seit meiner Jugend in den 70ern bloss einige seiner MPS "Rokoko"-Sachen.
Damals wurden Eugen's eher seichten Sachen immer auf Ö3 zwischen der Werbung und in "Musik zum Träumen" gespielt, was mich damals als Teenager auf ihn aufmerksam machte. Ich habe ihn daher nur in die 2. Reihe geschoben, gegenüber meinen Vorlieben wie Tatum, Oscar, Garner, Shearing & Co., natürlich nicht zu vergessen Wolodja!
Aber zu Unrecht, wie die neue Solo-CD beweist. Diese Musik ist für mich eine Offenbarung.
Was Eugen doch für ein Klaviergigant UND feiner Musiker war. Wer ausser Shearing und ein paar anderen hat heute noch dieses herrlich relaxte "behind-the-beat"-Spiel?
Auf diese Cicero-CD haben alle Jazz-Fans gewartet! Hoffentlich schlummern da noch weitere Schätze dieser Art in den Archiven.
Georg Croll, Salzburg, November 2005
Wie ein lange verborgener, geheimnisvoller Schatz muten die vorliegenden Aufnahmen vom 14. September 1978 an. Nach dem Mitschnitt bei den "Debrecen Jazz Days" verschwanden diese Jazzdiamanten in einem privaten Schallarchiv und schlummerten, um erst 2004 von einem ambitionierten slowakischen Sammler entdeckt zu werden. Die nun erfolgende Veröffentlichung dokumentiert - nicht nur für die Kenner und Verehrer von Eugen Cicero - Sternstunden der Klavier-Soloimprovisation und sie zeigt eindrücklich das unglaubliche instrumentaltechnische Format sowie das immense gestalterische Spektrum dieses viel zu früh verstorbenen Ausnahme -Pianisten.
Wir werden zurückversetzt in die 1970er Jahre, in eine Zeit, als in Osteuropa der Jazz als rares Importgut aus einer "anderen" Welt gehandelt und hochgeschätzt wurde. Zum privaten Jazz-Hören und insbesondere zu Jazzkonzerten trafen sich damals, oft auch "inoffiziell", eingeschworene Fangemeinden, um gebannt den verheissungsvollen Klängen aus dem Westen zu lauschen.
Den hier herausgegebenen elf Takes ist diese besondere Insider-Atmosphäre anzuhören, eine Aura, die einen Kreis von Eingeweihten umgibt: man spürt wie sich im Saal die Ohren und Augen nach vorne richten, wie sich eine knisternde Konzentration aufbaut, die sich nach zündenden pianistischen Pointen in explodierendem Applaus entlädt. Eugen Cicero spielt mit Spannung und Stimmungen, wenn er, einem begnadeten Regisseur gleich, immer wieder andere altehrwürdige Meister aus Barock, Klassik und Romantik als Akteure auf die Bühne seiner Klaviertastatur beschwört und sie mit Stars der Swing-Jazz-Ära in einen kreativen Dialog treten lässt.
Seine Magier-Hände zaubern eine gewaltige Crossover-Performance aus dem Flügel hervor - damals wurde die Verschmelzung von Traditionsrepertoire und Mainstream Jazz "Classic-Swing" genannt. Als Exponent dieser Richtung liegt das spezielle Verdienst Eugen Ciceros im Entfalten durchstrukturierter Grossformen, weit jenseits des in der unterhaltsamen Musik viel strapazierten Reihungsprinzips - schon an der Länge der Stücke ist dies abzulesen. In der Blütezeit des "Classic-Swing" hatten Auf- und Ausführende wie auch Rezipienten Musse, man liess sich auf Freiheiten ein, setzte auf Interaktions-, Kommunikations- und Entwicklungsprozesse, wollte experimentieren und teilhaben an der Erschliessung bislang unbekannter Klangdimensionen.
Eugen Ciceros universale Virtuosität sowie ein erwartungs- und hingebungsvolles Publikum, bereit, jedes künstlerische Wagnis mit einzugehen, schufen ideale Rahmenbedingungen dafür, dass sich in diesem Konzert die Sphären historisch gewachsener Komposition einerseits und impulsiven Stegreif -Musizierens andererseits - ohne stilistische Verflachungen und verfälschende Kompromisse - in ihrer integralen Eigenart und Vielfalt begegnen und ergänzen: ästhetische Gegenpole erscheinen geeint durch die Glanzleistung eines Genies
Martin Herr, Juli 2005
Der 1997 allzu früh verstorbene Pianist Eugen Cicero gehört sicher zu den verkannten Musikern. Den Klassik-Liebhabern zu swingend und den meisten Jazzkritikern ob seines parlierenden, stil-übergreifenden Spiels zu oberflächlich. Dabei verfügte der aus Rumänien stammende Tastenvirtuose nicht nur über eine stupende Technik, sondern er hat wie kein anderer Stilmittel aus Jazz und Klassik zu einem neuen Hörerlebnis verbunden.
Knapp acht Jahre nach seinem Tod sind bisher unbekannte Aufnahmen von einem Solokonzert am 14. September 1978 bei den Debrecen Jazz Days in Ungarn aufgetaucht. Cicero, der sich ansonsten zumindest von einem Bass begleiten liess, zeigt hier, dass er als Allround-Pianist keiner Rhythmusgruppe bedarf.
Nicht nur klassische Themen wie Schuberts "Heideröslein" oder Bachs, "Erbarm Dich mein Gott" variiert er mit seinem unerschöpflichen Ideenreichtum an Phrasierungen, Tempi und kompositorischen Figuren von Barock bis Romantik. Auch "klassische" Themen aus dem Jazz wie "Shiny stockings" oder "Sunny" nimmt er als Vehikel für seine pianistischen Höhenflüge, die zumindest in der Einleitung oft an sein Vorbild Erroll Garner erinnern. Die durch Frank Sinatra bekannt gemachte Ballade "Nancy with the laughing face" interpretiert Cicero mit unglaublicher emotionaler Tiefe, selbstversonnen, das Thema zärtlich umspielend.
Selten war die Ausdrucksstärke und Vielfalt von Ciceros Pianospiel so eindrucksvoll und unverwässert zu hören wie bei diesen Live-Soloaufnahmen. Ein aufmerksames, interessiertes Publikum hat sicher ein Übriges dazu beigetragen.
Andreas Geyer
Source: JAZZPODIUM 10/2005
Hört man diese Aufnahme von Eugen Cicero, die 1978 bei den Debrecen Jazz Days entstanden und bis vor kurzem von einem Sammler unter Verschluss gehalten wurden, dann wundert man sich, warum er in den Annalen nicht neben Oscar Peterson genannt wird. Vielleicht weil der deutschrumänische Pianist zu traditionell, zu konventionell musizierte?
Ciceros Piano-Solo-Musik erhebt sicher nicht den Anspruch, innovativ zu klingen. Aber sie gehört zum Geschmackvollsten und Souveränsten was in diesem Genre veröffentlicht wurde.
R. Dombrowski Source: stereoplay 10/2005
Wenn einer der europäische Oscar Peterson war, dann Eugen Cicero. Geboren in Rumänien, von 1962 an in München beheimatet, hatte er als Kind eine solide klassische Klavierausbildung genossen, war aber dann zum Jazz konvertiert und gehörte zu Lebzeiten zu den erfolgreichsten Künstlern des MPS-Labels.
Aufnahmen wie "Rokoko-Jazz" mit Charly Antolini an der Schiessbude verkauften sich über eine Million Mal. Trotzdem gibt es von Cicero heute nur noch wenig im Repertoire des Fachschallplattenhandels. Umso erfreulicher ist die Veröffentlichung einer im September 1978 live entstandenen Solo-Konzertaufnahme, die unlängst in den Archiven eines Sammlers auftauchte.
Sie präsentiert den 1997 früh verstorbenen Pianisten mit einer wunderbar launigen, hochvirtuosen Zusammenstellung, die von Chopin-Improvisationen bis zu Standard-Klassikern wie "Sunny" reicht. Ciceros Witz und Geschmack bewahren ihn davor, in die Crossover-Clownerie abzudriften, und machen aus dem Abend ein musikalisches Erlebnis. Bemerkenswert.
R. Dombrowski Source: stereoplay 10/2005
Eine klassische Ausbildung haben heutzutage fast alle Jazzpianisten. Offennbar sind die seit Jahrhunderten bewährten, an eine grossartige Literatur gekoppelten Schulen der Geläufigkeit gerade beim Klavier eine unersetzbare "Universität", Jazzpianisten allerdings, die es in der klassischen Musik wirklich zu etwas gebracht haben, die durchgekommen sind bis zur Konzertreife und bis Rachmaninoff, sind eine ausgesprochene Rarität.
Eugen Cicero gehörte dazu. 1940 in Rumänien geboren, früh als Ausnahmetalent erkannt und entsprechend auf höchstem Niveau als Konzertpianist ausgebildet, wurde er bald auf Konzertreisen, auch ins Ausland, geschickt. Der rigide Kulturbetrieb des kommunistischen Landes konnte zwar nicht verhindern, dass sich Cicero schon in seiner Heimat von seinem älteren Bruder zum Jazzspielen anregen liess, veranlasste ihn aber trotzdem oder erst recht, sich 1962 nach Westdeutschland abzusetzen. Alle Freiheiten, vor allem die künstlerischen, liessen ihn hier zu einem stupenden Entertainer in einer einmaligen Verbindung von Raffinement und Pop-Appeal aufblühen, als einer der erfolgreichsten Künstler von Nachkriegsdeutschlands erster wichtiger Schallplattenfirma des Jazz: MPS.
Meistens mit (erstklassigen) Rhythmusgruppen phantasierte Cicero über Chopin, Schubert, Liszt, Bach, Scarlatti, Tschaikowsky, Balkanfolklore, Schlager und Jazz-Evergreens. Aus dem Jahr 1978 kam nun, ausgegraben von einem slowakischen Sammler, ein bisher unveröffentlichter Konzertmitschnitt vom Jazzfestival in Debrecen heraus. Das Album bringt den in allen neueren Lexika vergessenen Musiker eindrücklich in Erinnerung; es ist einer seiner seltenen Soloauftritte. Seine geistreiche Verspieltheit, seine seiltänzerischen Risiken sind hier womöglich noch besser und mit größerer Spontaneität entfaltet als in den Standard-Trios, mit denen er normalerweise auftrat. Die Dynamik und Agogik, der enorme Horizont der Bezüge, die Verbindung von strengem Strukturbewußtsein und tiefem Swing-Verständnis, der Humor der harten Kontraste und natürlich die Brillanz der glitzernden Läufe machen diese CD zu einem Monument höchst unterhaltsamer Crossover-Klavierkunst. Cicero zitiert bravourös die rasenden Tongirlanden von Art Tatum, die berühmten "hinkenden" Verschleppungen zwischen linker und rechter Hand von Erroll Garner, die rollenden Bassfundamente des Boogie-Woogie, dazu alle nur denkbaren Elemente der E-Musik von Bach bis Chopin. Die Zitate, etwa von Grieg und Chopin, in dem Pop-Hit "Sunny" schwellen wie aus dem Unterbewusstsein hoch
An anderer Stelle, etwa dem staunenswerten "Chopin-Medley", sind die bekannten Themen kunstvoll kalkuliert ineinandergewirkt. Gewisse Effekte wie applausgenerierende Schlüsse und vordergründig erkennungsdienliche Zitat-Späße können kaum für Irritationen sorgen. Dafür ist dieses Glasperlenspiel mit Gershwin-Themen, Schuberts "Heidenröslein", einer Arie aus Bachs "Matthäuspassion", Jazz Evergreens und dem schon genannten Material einfach viel zu intelligent.
Ulrich Olshausen
Es ist doch recht merkwürdig: Da versuchen honorige Jazzexperten unentwegt, den Jazz dadurch zu rechtfertigen und "salonfähig" zu machen, dass sie vermeintliche oder tatsächliche Parallelen zur klassischen Musik ziehen (das Generalbass-Spiel etwa wurde mit der Jazzimprovisation verglichen). Besinnt sich aber einmal ein Jazzmusiker auf die Wurzeln und nimmt die klassische Musik als Grundlage seiner Musik, sind es dieselben Kritiker, die naserümpfend von geschmacklosem Niveau reden. So geschehen bei einem der grössten Pianisten der Jazzgeschichte, Art Tatum, der, in klassischer Musik vorgebildet, ebenfalls ab und zu Stücke des klassischen Repertoires für den Jazz abwandelte, was von dem französischen Jazzkritiker André Hodeir sehr gerügt wurde. Es ist erstaunlich, dass Tatum damals von vielen namhaften Jazzmusikern vehement verteidigt wurde.
Der aus Rumänien stammende Pianist Eugen Cicero ist ein Musiker, der bevorzugt klassische Musik auf den Jazz überträgt. Dies ist jedoch nicht gleichzusetzen mit "verjazzter Klassik", bei der oft durch bloße Rhythmusverschiebungen und "zeitgerechte" Instrumentierung (Keyboards!) nicht nur banalisiert, sondern häufig auch persifliert wird. Anders Cicero, der mit der klassischen Musik verwachsen ist, sie variiert und mit eigenen Ideen durchsetzt, ohne sie ihres Inhalts zu berauben oder sie gar despektierlich zu karikieren. Es ist praktisch eine Übersetzung der Klassik in den Jazz. Nichts geht von der Ursubstanz der Stücke durch Cicero's paraphrasierende Interpretationen verloren, wenn er etwa bei "Cicero's Caprice No 24" paganinische Leichtigkeit aus dem Jazz sprechen lässt, oder über das Frühlingslied von Mendelssohn aus dessen Zyklus "Lieder ohne Worte" reflektiert. Natürlich sind die Freiräume für eigene Ideen bei fast geometrisch komponierten Bachstücken begrenzter als bei vergleichsweise "leichteren" Kompositionen, etwa Smetana's "Moldau", die hier etwas popig aufgemacht ist und von einem südamerikanischen, rhumba-artigen Rhythmus unterlegt wird, der mir nicht so ganz passend zu sein scheint. Unterstützt wird Eugen Cicero von zwei sehr profilierten Kollegen: Billy Higgins, ein Exponent des modernen Schlagzeugs und John Clayton, der selbst von der klassischen Musik herkommt und deshalb für die Aufnahmen prädestiniert ist.
Während Higgins nur bei "Caprice No.24" ein kurzes Solo hat und ansonsten für einen nuancenreichen, einfühlsamen Begleitrhythmus sorgt, den man mehr zu spüren als zu hören glaubt, kann John Clayton bei dem so genannten Spinnerlied von Mendelssohn, Chopins "Largo From Preludes, Op.28" und Bachs "Orchester-Suite No.1 in D, BWV-1086" mit gestrichenen, erstaunlich beweglichen Bass-Soli glänzen. Allen in Stilschubladen eingeordneten Menschen zum Trotz und getreu der Feststellung, dass es nur schlechte oder gute Musik gibt, spannt das Trio im abschließenden "Cicero's Paraphrase in G-Flat" einen verbindenden Bogen von Mozart bis zu "Glory, Glory Hallelujah".
Andreas Geyer Source: JAZZPODIUM 12/1984
Endlich gibt es nun auf CD die "verjazzte Klassik" des Pianisten Eugen Cicero, der in den sechziger Jahren mit seinen LPs riesige Verkaufserfolge feierte. Im neu gemasterten 3-CD-Set erscheinen jetzt erstmals die legendären fünf klassischen Cicero-LPs des MPS-Labels bei uns in Deutschland auf CD: "Rokoko-Jazz", "Cicero's Chopin", "Swinging Tschaikowsky", "Romantic Swing" und "Balkan-Rhapsodie".
Jacques Loussier machte zu Beginn der Sechziger in Frankreich den Anfang, als er klassische Bach-Werke mit seinem Jazztrio interpretierte. Zunächst gab es einen Aufschrei der Empörung unter den Gralshütern der klassischen Musik, aber schon bald verkauften sich Loussiers Schallplatten, die schöne Bach-Melodien mit entspanntem Swing verbanden, weltweit wie warme Semmeln. Die Swingle Singers sprangen schon bald auf den Zug auf und schufen mit Vokalbrillanz ebenfalls swingende Interpretationen von Bach & Co.
Und Deutschland hatte Eugen Cicero. Es wäre allerdings stark untertrieben, ihn als Loussier-Nachahmer zu bezeichnen, denn Cicero verband die klassischen Originale und Jazzinterpretation mit einer atemberaubenden technischen und künstlerischen Finesse, die auch heutige Hörer noch sprachlos machen kann. Man sagte damals: "Cicero spielt Loussier an die Wand". Und hatten recht! "Es gibt keinen einzigen swingenden Bach, der so rasant und zügig dahinschösse wie dieser", hiess es im September 1966 im RIAS-Pressedienst. Und im Kurier meinte in derselben Zeit ein Kritiker: "Eindrucksvoll Bachs Präludium in C, einfallsreich die romantische Lyrik des Schwanensee, am besten scheint dem Cicero-Trio aber Chopin zu liegen: Perlend und locker, glitzernd und leicht spielt es Walzer und Präludes von Chopin in immer neuen Variationen und Interpretationen. Was an den drei Solisten besticht, ist ihre spürbare Freude am Musizieren, ihr Temperament und ihre Präzision."
Eugen Ciceros Sohn Roger feiert gerade eigenen grossen Erfolg als Jazzsänger mit seiner CD "Männersachen".